Ed zu Hause, traurig

Er fährt weiter, weitere zwei Beinahunfälle in denen er jedesmal im Recht war. Endlich erreicht er sein Stadtviertel, die ruhigere Straße, die kleine Tür zum Fahrradkeller, Kopf ein wenig einziehen, durchatmen, Fahrrad in den Keller, Hochschlurfen zur Wohnung. Im Hausflut ist die Tür vom Nachbarn offen, die Nachbarin, eine dumme Frau Anfang Dreißig schreit etwas, ein Gürtel mit einem Hakenkreuz auf der Schnalle landet sichtbar vor Ed im Hausflur. Die Nachbarin schreit noch etwas. Der Nachbar, ihr Mann oder was auch immer, kommt raus, sieht ihn frech an und nimmt seinen Nazigürtel und trollt sich zu langsam als dass es schamvoll sein könnte davon in die Wohnung. Im Hausflur liegt auch ein auseinandergefallenes Butterbrot. Warum sie dass wohl auch vor die Tür geworfen hat? Ein Stück Brot liegt auf seinem Schuhabtreter. Der Nazinachbar hat keine Anstalten gemacht, seinen Mist wegzuräumen. Ed fühlt sich vom übergreifen auf den Anfang seiner Wohnung unangenehm berührt. Ich muss umziehen, endlich raus hier, denkt er.

In der Wohnung, aufs Sofa fallen, völlig fertig sein. Lange einfach da liegen unfähig etwas zu tun. Ein leichter Angstkrampf überkommt ihn. Er holt eine Zigarette aus dem kleinen Versteck wo er sie lange nicht anfassen wollte, zwei Tage lagen sie da. Dazu der viel zu starke Kaffee wie immer, der ihm den Magen ruiniert und die Verdauung. Aber Hauptsache die Angst abschütteln, auf der kleinen Terrasse sitzen und Rauchen, Kaffee, keine Arschlöcher hier, endlich ein Frieden. Im Hof vom Nachbarhaus die hippie´esken tiefenentspannten Nachbarn mit ihren Unmengen von glücklichen hübschen Kindern. Wo kommen nur die Kinder her, fragte sich Ed. Und vor allem wie schaffen sie das, wo er mit Mühe, mit großer Mühe einen Sechsstundenarbeitstag schafft und dann schlecht essen geht oder sich Nudeln macht und mit Mühe den Abwasch schafft und alle zwei Wochen wischen, Rechnungen zahlen, Briefe beantworten, sich um Krempel kümmern, das alles schaffte er gerade so für sich, wenn noch etwas schief ging, wie jetzt, wo sein Macbook ständig abstürzte, war er schon überfordert, mit gerade einmal Anfang dreißig. Wie schafften die es, das alles zu machen und obendrauf Dasselbe nochmal für die Kinder? Es war ihm ein Rätsel, der Tag hatte doch für die auch nur 24 Stunden. Abzüglich schlafen, minimaler Körperpflege, Einkaufen, Kochen, Putzen, blieb noch ein wenig Zeit für Lohnarbeit und Muse.

Im Zeitlupentempo drückte er die Zigarette aus, schlurfte in die Wohnung zurück, die Tasse gleich abwaschend. Ein komisches Geräusch – ein Schnüffeln hinter sich – umdrehen – der Husky vom anderen Nachbarn oben stand in seinem Wohnzimmer – der Schreck! „Raus hier die Frechdachs!“ rufen, nach einem zögern springt er raus. Ed ist erleichtert, er hatte Angst, er wusste wie lächerlich das war und dass er sie sonst in besseren Lebensphasen nicht hätte. Aber der Husky machte ihm soviel angst wie der Nazinachbar. Vor allem möglichen hatte er Angst, vorm Finanzamt, vor dem Arbeitsamt, vor dem Jour Fixe im Institut, vor der bevorstehenden Trennung von l, vor dem Zusammenbleiben mit l, vor seiner getroffenen Entscheidung, vor der aufgeschobenen nicht getroffenen Entscheidung. Es gab kaum etwas, das ihm nicht Angst einjagte. Sein Konto war voll seit der neuen Stelle. Sein Kleiderschrank war aber leer, immer zu wenig Socken, auch zu wenig Unterhosen und keine einzige ordentliche Hose oder Jacke. Wenn er probeweise in einem Bekleidungsgeschäft stand überkam ihn sofort ein Ekel beim Gedanken, Geld auszugeben und dann diese neuen Klamotten zu Hause zu haben, und wie er das sofort bereuen würde. Er fühlte sich abgerissen und verwaschen und wollte auch so aussehen. Die Menschen behandelten ihn deshalb schlecht, sie hassten ihn sogar, das wusste er zu spüren, spürte es jeden Tag. Aber er wollte auch nichts besseres vorstellen, als ihm zumute war. Also die alten Klamotten, die alten Schuhe, kein neues Fahrrad, schon gar kein Auto. Das Geld auf seinem Konto, besser was sparen, dachte er. Verschiedene Überlegungen was mit dem Abend sinnvoll anzufangen sei, durchblättern der Stadtzeitung mit Ausgehterminen, lange Liste mit Konzerten und Varietés, der Chor und Tai Chi wären auch noch. Er ging die Möglichkeiten der Reihe nach durch und fand für jeden einen Grund der vor seinem inneren Freizeitgericht bestand: Ein Grund nicht hinzugehen, nicht zu können und überhaupt, besser ein anderes Mal, die nächste Woche! Also mit gutem Gewissen zu Hause bleiben, was sollte er sonst machen? Verdammt zum alleine sein. Das dicke Buch über eine Theorie aus dem Bücherregal, Naomi Klein, immer die gleichen Aussagen aber mit vielen vorhersehbaren Sätzen, das war genau was er brauchte. Einfacher Balsam um die Nerven zu beruhigen, keine Überraschungen, keine neuen Menschen, keine komplizierten Ideen. Einfache Sätze im Indikativ, mit klaren Anweisungen was richtig und was falsch ist. Und kein Hängenlassen, wissend, dass es immer so weiter geht. Nicht alleine sein mit seinen irren Gedanken, noch sechshundert Seiten übrig, seine Freunde, die sechshundert Seiten. Aufs Schaffell fallen vor dem Bett, in die Ecke kriechen, der einzige Ort in der Stadt wo er sich gut fühlte. Lesen, warten, dass die Zeit vergeht.